1945 – Widerstand gegen den Nationalsozialismus am Kriegsende: Ein Kommentar

Unsere erste Exkursion mit dem Solidaritätsprojekt „Wir forschen: Kreativer Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ führte uns in die Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Neben der Dauerausstellung haben wir uns dort die Sonderausstellung „1945 – Widerstand gegen den Nationalsozialismus am Kriegsende“ angesehen. Die Ausstellung zeigt über ein dutzend Beispiele für Versuche, im letzten Moment die Verteidigung von Städten zu sabotieren und sie relativ heil an die Alliierten zu übergeben. Mehrere Beispiele stammen aus Berlin. Wir entdeckten die Gruppe „Onkel Emil“, die in den letzten Kriegstagen heimlich die Häuser am Kurfürstendamm mit „Nein!“ in Weiß voll pinselte.

Kaum jemand leistete Widerstand
Was die Ausstellung auch zeigt: Besonders viel Widerstand gab es am Kriegsende nicht. Die meisten davon aus Gegenden, wo man sich statt der Roten Armee der US-Army ergeben konnte. Oben in der Dauerausstellung glauben wir gelesen zu haben, das von insgesamt 80 Millionen Reichsdeutschen vielleicht 20.000 widerständig wurden.

Schergen mordeten bis zur letzten Stunden
Sehr engagiert waren dafür die Schergen des Nationalsozialismus: Sie mordeten bis zur letzten Stunde. Sehr plakativ bringt das der Auftakt der Ausstellung mit einem Zitat eines Befehls von SS-Chef Heinrich Himmler auf den Punkt: „Aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, sind alle männlichen Personen zu erschießen.“ Damit spielt auch das Werbeplakat der Ausstellung. Es zeigt ein Bild. Zu sehen sind amerikanische Soldat*innen und ihre Maschinengewehr bewehrten Jeeps. Das Spannende am Bild: Um sie herum hängen unzählige weise Fahnen von den Häusern.

Weiße Farbe als Symbol
Mit dem Symbol der weißen Fahnen spielt auch eine Aktion der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“. Diese startete zusammen mit anderen Widerstandsgruppen am 19. und 20. April 1945 in Berlin eine Aktion. Diese sollte die Menschen auffordern, nicht noch auf den letzten Drücker für Deutschland zu sterben. Deshalb beschrifteten sie mit weißer Fassadenfarbe und Kreide und dem, was die jeweiligen Widerstandsgruppen sonst noch so hatten beschaffen können nachts Häuserfassaden mit einem gut sichtbaren „NEIN“. Eine der Beteiligten, Ruth Andreas-Friedrich: „Je weiter wir fahren, desto glücklicher klopft unser Herz. Der Kurfürstendamm ist eine Glanzleistung. Wohin wir blicken, leuchten weißfarbene Proteste.“ Dieser Aktion werden wir sicher im Laufe unseres Projektes noch nachspüren.

Bäckereisturm in Rahnsdorf
Eine zweite in der Ausstellung gezeigte Widerstandshandlung aus Berlin fand am 6. April 1945 in Rahnstorf statt. 200 Frauen protestierten dort gegen Ungerechtigkeiten und Korruption bei der Zuteilung von Brot. Sie stürmten zwei Bäckereien. Anwohner verpetzten die Beteiligten, nur Stunden nach der Aktion nahm die Gestapo 15 Menschen fest. Die deutsche Justiz ermordete einen Tag später zwei der Verhafteten.

Handelnde werden oft ermordet
Oft sind es Frauen, die bei den in der Ausstellung gezeigten Widerstandshandlungen Panzersperren räumen, Telefonkabel kappen oder den Volkssturm entwaffnen. Es werden aber auch Beispiele von handelnden Soldaten gezeigt. Diese verhaften die Schergen, hängen weiße Fahnen auf, oder verhandeln mit den anrückenden Truppen. Manchmal klappt das, oft sind die Beteiligten am nächsten Tag ermordet.

Halbherzig?
Mit Blick auf das, was einige von uns in den Museen in Warschau gesehen hatten, drängt sich der Eindruck einer gewissen Halbherzigkeit auf. In Deutschland bestens bewaffnete und verschanze Soldaten, die sich von KZ-Wächtern und anderen Truppen nach wenigen Stunden entwaffnen lassen; in Polen nur mit Pistolen ausgerüstete ausgehungerte Polen und Juden, die den Verbrechern wochenlang bis zum Tod Widerstand leisten? Die Dauerausstellung oben zeigt, das sich viele der Widerstandskämpfer*innen keine Illusionen über ihre Mit-Deutschen machten. Sie gingen davon aus, dass der Nationalsozialismus nicht mit einem Aufstand enden würde, sondern nur mit einer totalen Niederlage Deutschlands. Statt heroischer Aufstände bereiteten sie deshalb politische Konzepte für eine Demokratie nach Hitler vor. Als erstes Ziel des Widerstandes wählten viele damit ganz trivial, Hitler zu Überleben. Viele Polen und erst recht die Juden in Warschau hatten angesichts des Vernichtungskrieges und der Shoa diese Wahl nicht.

Ambivalenz
Eine ambivalente Personalie thematisieren die Ausstellungstafel zu einer Aktion aus Düsseldorf. Eine informelle Widerstandsgruppe überredete dort am 16. April 1945 den Polizei-Oberstleutnant Franz Jürgens zum Putsch. Die Widerstandsgruppe besetzte das Polizeirevier, verhaftete Schergen und schickte mit Passierscheinen ausgestattete Unterhändler zur US-Army. Doch der Putsch wurde verraten, die Schergen befreit und Franz Jürgens und vier Widerstandskämpfer ermordet. Dank des anschließenden Abzugs von deutschen Truppen gelingt die Übergabe der Stadt trotzdem. Den fünf Ermordeten gedachte die Stadt Düsseldorf mit einem Gedenkstein. Seit neuestem ist auf dem Stein jedoch der Name Franz Jürgens mit einer Platte verdeckt: Er war überzeugter Nazi, Antisemit und verantwortlich für die Ermordung und Deportation der Juden aus Darmstadt.

(Bildquelle: Stadt Düsseldorf/Melanie Zanin)

Was ist Widerstand?
So drängt sich die Frage auf: Wie politisch waren die Widerstandshandlungen eigentlich? Ging es um Demokratie und Frieden? Oder um Groß-Deutschland und das eigene Leben? Mein bereits 1927 in die SA eingetretener Ur-Opa desertierte im Mai 1945 im Anschluss an einen Urlaub. Er machte kein großes Ding draus; als „Heldentat“ sah er es sicher nicht. Auch die Bechreibung seiner Tat als politischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus lag ihm sicher fern. Trotzdem stellt sich die Frage, was meinen Ur-Opa von einigen der in der Ausstellung gezeigten Funktionsträger des Nationalsozialismus unterscheidet? Gemeinsam haben sie, dass sie nicht völlig blöd waren, angesichts des Verlaufes des Kriegsgeschehens bis Drei zählen konnten und nicht noch auf den letzten Drücker sterben wollten (wofür ich meinem Ur-Opa persönlich sehr dankbar bin…). Aber reicht das für Widerstand? Ich finde nicht. Warum sind sie in der Ausstellung? Bleibt ohne sie vom Deutschen Widerstand am Kriegsende nicht viel über?

Mehr Infos:

Sa. 5.7.2025 Exkursion: Gedenkstätte deutscher Widerstand:
https://vernetzungpartizipation.noblogs.org/post/2025/05/26/sa-5-7-2025-exkursion-gedenkstaette-deutscher-widerstand/

Neues Solidaritätsprojekt: „Wir forschen! Kreativer Widerstand gegen den Nationalsozialismus“:
https://vernetzungpartizipation.noblogs.org/post/2025/05/05/neues-solidaritaetsprojekt-wir-forschen-kreativer-widerstand-gegen-den-nationalsozialismus/

Das Projekt „Wir forschen: Kreativer Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ wird von der Europäischen Union als Solidaritätsprojekt im Europäischen Solidaritätskorps gefördert.

Das Projekt wird finanziert von der Europäischen Union. Der Inhalt gibt ausschließlich die Meinung der Autor:innen wieder. Die EU-Kommission und Jugend für Europa haften nicht für Folgern aus der Wiederverwendung.

Mehr zum Europäischen Solidaritätskorps:
https://www.solidaritaetskorps.de/